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Ausstellung „Umbruch Ost“
„Am Ende war die DDR einfach pleite“

Plakat

© Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Ausstellung „Umbruch Ost – Lebenswelten im Wandel“

29. September bis 9. Oktober 2020
von 8 bis 16 Uhr in der Bürgerhalle der
Bezirksregierung Münster, Domplatz 1-3, 48143 Münster

Münster. Friedhelm Ost (*15. Juni 1942 in Castrop-Rauxel) eröffnet am 29. September gemeinsam mit Regierungspräsidentin Dorothee Feller in der Bezirksregierung Münster die Ausstellung „Umbruch Ost“, die an die Geschichte der Deutschen Einheit erinnert. Im Interview berichtet der frühere Regierungssprecher und wirtschaftspolitische Berater Helmut Kohls von den Wendejahren, in denen er den späteren Kanzler der Einheit begleitete. Der Journalist, frühere Staatssekretär und Wirtschaftsberater ist überzeugt: „Wir brauchen ein zweites „Gemeinschaftswerk Aufbau Ost.“

Im Mai 1988 saßen Sie am letzten Spieltag der DDR-Fußballoberliga gemeinsam mit Helmut Kohl in Dresden im Stadion. Wissen Sie noch, wie das Spiel Dynamo Dresden gegen Carl Zeiss Jena ausgegangen ist?

Friedhelm Ost: Ja natürlich, 3:1 für Dresden.

Was hat Sie und den späteren Kanzler der Einheit in dieses Stadion geführt?

Friedhelm Ost: Das war eine komplizierte Geschichte. Ich war 1986 mit Helmut Kohl auf der Trauerfeier für den ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme in Stockholm. Und da stand in einer Ecke ganz alleine Erich Honecker. Da noch eine Einladung nach Bonn ausstand, haben wir ihn begrüßt: „Guten Tag, Herr Generalsekretär“. Kohl löste sich in Luft auf, Honecker hat sich dann mit mir über Fußball unterhalten. Er kannte sich bei den westfälischen und rheinischen Traditionsvereinen sehr gut aus, da sei er als junger kommunistischer Revolutionär dort sei er in den Regionen unterwegs gewesen. Kohl wollte dann wissen, über was Honecker sich mit mir unterhalten habe und sagte: „Dann müssen wir mal nach Dresden fahren, da steht die Wiege des deutschen Fußballs!“

Aber ganz so einfach war es nicht, oder?

Friedhelm Ost: Natürlich nicht. Honecker kam im September 1987 nach Bonn. Kohls Idee war immer, die Grenze durchlässig zu machen, damit die Menschen sich begegnen. Das war auch richtig, sonst hat man irgendwann nicht nur zwei Staaten, sondern auch zwei verschiedene Länder und Nationen. Am zweiten Abend war Kohl etwas missmutig und fragte, über was er mit dem „Kerl aus Ostberlin“ noch reden solle. Ich schlug Fußball vor, das fand Kohl erst nicht so lustig. Im Hotel Bristol in Bonn saß Kohl dann zwischen Honecker und dem SED-Wirtschaftssekretär Günter Mittag und sagte plötzlich zu Honecker: „Ich habe so einen fußballverrückten Staatssekretär“. Der erwiderte prompt: „Jaja, wir haben schon drüber gesprochen!“ Da sagte Kohl: „Der will unbedingt zum Dresdner SC“, worauf Honecker und Mittag wie Papageien riefen: „Dynamo!“ Und nachdem beide erklärt hatten, ich könne selbstverständlich kommen, wurde Kohl übermütig: „Ja, der will aber nicht alleine fahren, der will, dass ich mitkomme.“ Da fielen die beiden fast vom Stuhl, aber nun konnten sie ja nicht mehr zurück. Das hatte Kohl geschickt gemacht.

Die Reise, die die DDR gern geheim halten wollte, fand dann erst vom 27. bis zum 29. Mai 1988 statt? 

Friedhelm Ost: Unsere Sicherheitsdienste und auch die 600 Bonner Journalisten, die ja sonst immer alles ganz genau wussten, hatten das nicht mitbekommen. Wir sind über Eisenach und Erfurt erstmal nach Weimar gefahren, immer und überall von der Stasi begleitet, abgehört und von Kameras überwacht. Eigene Sicherheitsleute haben wir gar nicht mitgenommen. Und dann kamen wir wirklich in Dresden an zum allerletzten Spieltag der Oberliga der DDR, die ja nur wenige Vereine hatte und der Sieger war immer der Berliner Verein von Stasi-Chef Mielke. Das Spiel war ganz schön, später waren wir dann in der Semper-Oper. Als uns Leute dann dort erkannten, steckten sie Kohl, seiner Frau und mir jede Menge Zettel mit Ausreise-Bitten zu. Das war am Ende die teuerste Reise, die wir gemacht haben: Das Herauskaufen der Menschen kostete fast vier Millionen D-Mark, die wir an die DDR zahlen mussten.

Die DDR betrieb einen unvorstellbaren Aufwand, um Helmut Kohl und Sie zu überwachen?

Friedhelm Ost: Aus der Stasi-Akte über diese Reise geht hervor, dass wir von 156 Stasi-Leuten überwacht wurden. In Weimar haben sie Frauen in Trainingsanzüge gesteckt, die immer um das Hotel herumliefen, um Menschen von uns fern zu halten. Sie hatten wohl vermutet, dass wir ins Goethe-Haus oder in den Goethe-Park gehen würden. Die Mikrofone, die im Hotel in den Kronleuchtern angebracht waren, konnte man mit bloßem Auge erkennen.

Können junge Menschen das heute noch nachvollziehen, wenn Sie bei Lesungen und Vorträgen von diesem gefährlichen und paranoiden Überwachungsstaat erzählen? 

Friedhelm Ost: Am 5. Oktober werden ich mit zwei Schulklassen an der thüringisch-hessischen Grenze darüber sprechen. Es ist außerordentlich schwierig nachzuvollziehen für alle, die nach 1980 geboren sind. Für die ist nicht mehr klar, wie grausam die Grenze und die Mauer waren, wie viele Menschen dort zu Tode gekommen sind, wie Deutsche auf Deutsche geschossen haben, wie schwierig der Besuch bei Bekannten und Verwandten war und wie schwierig es in der DDR war, ganz normale Dinge für das tägliche Leben zu bekommen. Zum Altersabstand kommt hinzu, dass die DDR uns alle immer hinter die Fichte geführt hat. Selbst bei der UNO stand die DDR in der Liste der führenden Industrienationen der Welt immer an zehnter oder zwölfter Stelle, weil sie immer falsche Angaben machte. Für die Weltausstellung in Sevilla 1992 hatte die DDR bereits das größte Gelände gebucht. Das Motto sollte lauten: „Umweltschutz in der DDR – Vorbild für die Welt“. Dabei war die Umwelt in der DDR total verwüstet, nicht nur in den Braunkohlegebieten. Als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses war ich einige Male in Wismut Aue, im Uran-Bergbau. Nach der Wende rechneten Experten mit Sanierungskosten 200 Millionen D-Mark; inzwischen sind wir bei 6 Milliarden Euro. Klaus Töpfer als Umweltminister, der ja Professor in Münster war, hat da gute Arbeit geleistet. Die Umwelt und Infrastruktur sind heute in den Neuen Bundesländern teils in einem besseren Zustand als im Westen.

Nach Ihrer Zeit als Regierungssprecher waren Sie 1989 und 1990 auch wirtschaftspolitischer Berater Helmut Kohls. Wann war Ihnen und dem Kanzler klar, dass da nicht nur ein Regime zusammenbrach, sondern eine echte Chance auf die Verwirklichung der Einheit bestand?

Friedhelm Ost: Wir saßen Anfang November 1989 im Kanzler-Bungalow zusammen. Kohl wollte im Bundestag alle mit einer Strategie überraschen, wie wir jetzt vorgehen. Also fragte er in die Runde: „Was schätzt ihr denn, wann wir vielleicht zu einer Wiedervereinigung kommen?“ Und alle haben sich verschätzt, Kohl selber auch. Bei den Demonstrationen im Spätsommer 1989 reagierten die Menschen auf die Fälschungen bei der DDR-Kommunalwahl. Immerhin war die SED so schlau, dass sie sich nicht mehr als 100 Prozent bescheinigten. Die Menschen skandierten damals: „Wir sind das Volk“. Erst viel später riefen sie: „Wir sind ein Volk“. Wir haben uns da sehr zurückgehalten, auch weil natürlich immer noch die Drohung einer militärischen Niederschlagung im Raum stand. Und viele, die die DDR von innen geöffnet haben, hätten noch eine Zeitlang weitergemacht, so auch mein Freund Lothar de Maizière, der stolz war, der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident der DDR zu sein. Am Ende war die DDR aber einfach pleite. Der Chef der Zentralen Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, hatte dem Politbüro Ende Oktober einen geheimen Bericht zur ökonomischen Situation der DDR vorgelegt. Das „Schürer-Papier“ war eine Konkurs-Erklärung und drohte mit einer Absenkung des Lebensstandards um weitere 30 Prozent. Das hätte eine Katastrophe ausgelöst, es war einfach nichts mehr zu machen. Die Wiedervereinigung durch den Beitritt der DDR war der beste Weg.

Sind die Deutschen in den vergangenen dreißig Jahren so zusammengewachsen, wie Sie sich das damals gewünscht hätten?

Friedhelm Ost: Sie sind zusammengewachsen. Ich hätte mir gewünscht, dass es noch selbstverständlicher ist, dass Deutsche in Ost und West gar keine Unterschiede mehr sehen. Wir brauchen ein zweites „Gemeinschaftswerk Aufbau Ost“, um die noch bestehenden Unterschiede zu beseitigen. Für einige besonders schwache Regionen brauchen wir noch einmal große Anstrengungen. Schließlich müssen wir aus dem Westen unseren Landsleuten in Ostdeutschland mit noch größerer Offenheit und besserem Verständnis für deren Leben in den schwierigen Zeiten des menschenverachtenden Sozialismus begegnen. Es lohnt sich, auch für Touristen aus Westfalen, den Urlaub an die Ostsee, im Erzgebirge oder im Thüringer Wald zu verbringen.

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